Professor Franz-Erhard Walther besucht die FBS –  Ein nicht ganz alltäglicher Kunstunterricht

Hin und wie­der zurück, so der Ori­gi­nal­ti­tel der Tol­ki­en-Erzäh­lung „Der Hob­bit“, führ­te die künst­le­ri­sche Odys­see einen der mitt­ler­wei­le welt­weit renom­mier­tes­ten Söh­ne unse­rer Stadt: Ful­da – Offen­bach – Frank­furt – Düs­sel­dorf – New York – Ham­burg und zurück (nein, nicht ins Auen­land, son­dern) nach Ful­da. Die­se Rei­se geschah nicht aus frei­en Stü­cken, denn die bereits in sehr jun­gen Jah­ren gestar­te­te Suche nach neu­en und vor allem unver­brauch­ten Aus­drucks­for­men fand in der engen, tra­di­ti­ons­ver­ses­se­nen Hei­mat kei­ner­lei ange­mes­se­ne Rezep­ti­on. Pro­fes­sor Franz-Erhard Walt­her, Bild­hau­er, Konzept‑, Instal­la­ti­ons- und Pro­zess­künst­ler, des­sen jahr­zehn­te­lan­ges Schaf­fen die­ses Jahr mit dem Gol­de­nen Löwen der Bien­na­le in Vene­dig gekrönt wur­de, war am Don­ners­tag, dem 7. Dezem­ber im voll­be­setz­ten Medi­en­zen­trum der Fer­di­nand-Braun-Schu­le zu Gast, um im Rah­men eines Künst­ler­ge­sprächs die Sta­tio­nen sei­nes Schaf­fens und vor allem die ihm eige­ne Auf­fas­sung, was denn Kunst nun sei, dem Publi­kum zu ver­mit­teln. Klas­sen der Fach­ober­schu­le, des beruf­li­chen Gym­na­si­ums, der Fach­schu­le für Tech­nik und Aus­zu­bil­den­de im Medi­en­be­ruf beka­men Gele­gen­heit, ihren Hori­zont in unge­läu­fi­ges Ter­rain zu erwei­tern, unter­stützt durch eine umfas­sen­de chro­no­lo­gi­sche Bilddokumentation.

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Mar­tin Schultz-Lintl und Andrea Fron­eck-Kra­mer, bei­de als Gestal­tungs­leh­rer künst­le­risch „vor­be­las­tet“, muss­ten nicht lan­ge nach­boh­ren, um dem bes­tens auf­ge­leg­ten Gesprächs­part­ner zahl­rei­che Anek­do­ten, aber vor allem prä­zi­se for­mu­lier­te Begriffs­füh­run­gen und Abgren­zun­gen künst­le­ri­schen Arbei­tens zu ent­lo­cken. Walt­her kam immer wie­der zurück auf sei­nen Anspruch, Kunst sol­le nicht vor­ran­gig dem Betrach­ter ein abge­schlos­se­nes Werk prä­sen­tie­ren, son­dern den Rezi­pi­en­ten als han­deln­de Per­son ins Werk inte­grie­ren, den Ent­ste­hungs­pro­zess also in Form einer „Vor­stel­lungs­hand­lung“ mit­zu­den­ken oder sogar als „Kör­per­hand­lung“ inter­ak­tiv mit dem Werk in Kon­takt zu tre­ten. Selbst­ver­ständ­lich fan­den die Eltern des jun­gen Franz-Erhard sei­nen Wunsch, Kunst zu stu­die­ren, eben­so unmög­lich wie es die Vor­stel­lung des Autors war, mit der­ar­ti­gen Auf­fas­sun­gen von Kunst in Ful­da zu reüs­sie­ren. Die Werk­kunst­schu­le Offen­bach, heu­te HfG, bil­de­te Walt­her zwar soli­de in gebrauchs­gra­fi­schen Fer­tig­kei­ten aus, er ent­deck­te die fas­zi­nie­ren­de Welt typo­gra­fi­scher For­men­spra­che, jedoch lock­te ihn die schein­bar „freie Kunst“ in die Frank­fur­ter Stä­del­schu­le, um dort aber­mals des­il­lu­sio­niert zu wer­den: Sei­ne all­zu expe­ri­men­tel­len Arbei­ten führ­ten nicht zum gro­ßen Wurf, son­dern zum Raus­wurf, der heu­te als Segen betrach­tet wer­den kann. Schließ­lich ließ sich Walt­her in sei­ner fes­ten Über­zeu­gung, das Moment der Hand­lung müs­se Teil des Werks sein, nicht beir­ren, son­dern wand­te sich ziel­stre­big der Düs­sel­dor­fer Kunst­aka­de­mie zu, wo er neben Pro­fes­sor Karl Otto Götz in Ger­hard Rich­ter, der neben­an sei­nen „kapi­ta­lis­ti­schen Rea­lis­mus“ mal­te und Sig­mar Pol­ke die zur Zün­dung erfor­der­li­che „kri­ti­sche Mas­se“ vor­fand. Im dama­li­gen euro­päi­schen Zen­trum für Gegen­warts­kunst mit sei­nen Avant-Gar­de-Gale­rien fand Walt­her ele­men­ta­re Impul­se für die Ent­wick­lung sei­ner Vor­stel­lung von künst­le­ri­scher Frei­heit, auch wenn die­se nicht von Pro­fes­sor Joseph Beuys geteilt wur­den. Der in die­sem Jahr 103-jäh­rig ver­stor­be­ne K. O. Götz hin­ge­gen ließ den Pio­nier par­ti­zi­pa­ti­ver Kunst gewähren.

Die in den frü­hen 60er Jah­ren ent­stan­de­ne 7‑teilige Pack­pa­pier­kle­bung, die heu­te von Ful­das tech­ni­schem Berufs­schul­zen­trum beher­bergt wird, steht exem­pla­risch für die z. B. von Jack­son Pol­lock ver­tre­te­ne Kunst­gat­tung des „Infor­mel“: Abs­trak­ter Expres­sio­nis­mus, Male­rei ohne kon­zep­tio­nel­le Pla­nung, „Action Pain­ting“, pro­zes­su­al, ges­tisch-rhyth­misch, abseits von Form. Schich­ten von Pack­pa­pier in Leim tau­chen, trock­nen las­sen und den Betrach­ter auf­for­dern „Stell dir ein Werk vor, las­se es in dei­ner Vor­stel­lung zu einem Bild wer­den“, pro­vo­zier­te auch 20 Jah­re spä­ter noch, als die Bil­der im neu ein­ge­weih­ten B‑Trakt der Fer­di­nand-Braun-Schu­le ihren heu­ti­gen Stand­ort fan­den, zu Äuße­run­gen wie „Die­ser Walt­her ist wirk­lich ein Künst­ler, weil er der Stadt Ful­da fet­ti­ges Papier als Kunst andre­hen kann“. Dass das New Yor­ker Muse­um of Modern Art heu­te die­ses Werk lie­bend gern in sei­ne Walt­her-Samm­lung inte­grie­ren möch­te, konn­te man sich wohl damals in Ful­da noch nicht vor­stel­len. Das MoMA hat­te dem zwei Jah­re zuvor über­sie­del­ten Walt­her 1969 mit einer Ein­zel­aus­stel­lung sei­nes 58-teil­i­gen „1. Werk­sat­zes“ den „Nobel­preis ver­lie­hen“. Wesent­lich offe­ner und frei­geis­ti­ger als in Euro­pa sei die Rezep­ti­on sei­nes Werks aus­ge­fal­len. Doch obwohl Walt­her mona­te­lang täg­lich im MoMA mit sei­nen Wer­ken agier­te, blieb sein Tun zunächst „brot­lo­se Kunst“, und der Drei­ßig­jäh­ri­ge muss­te sei­ne in der elter­li­chen Bäcke­rei erwor­be­ne Fer­tig­keit als „Cake Deco­ra­tor“ für den Lebens­un­ter­halt ein­set­zen. Ein Jahr spä­ter wur­de er als Pro­fes­sor an die Ham­bur­ger Hoch­schu­le für bil­den­de Küns­te beru­fen und präg­te sei­nen Fach­be­reich für die nächs­ten 35 Jah­re ent­schei­dend mit. Damit war Walt­her auch idea­ler Rat­ge­ber für Fra­gen, wie man denn als Absol­vent der an der der Fer­di­nand-Braun-Schu­le ansäs­si­gen Fach­ober­schu­le für Gestal­tung an einer Kunst­hoch­schu­le lan­den kön­ne. Wei­te­re Fra­gen aus dem Publi­kum rich­te­ten sich an Walt­hers Ein­schät­zung, wie denn der Wert von Kunst zu bemes­sen sei und wie die teils astro­no­mi­schen Prei­se zustan­de kämen; dies rege­le der Kunst­markt, erklär­te Walt­her. Man kön­ne sich zwar selbst für den Größ­ten hal­ten, die­se Auf­fas­sung müs­se aber auch vom Rest der Welt geteilt wer­den, um finan­zi­el­len Erfolg zu haben. Künst­ler, die ihrer Zeit vor­aus sind, könn­ten vom Zeit­geist ein­ge­holt und sogar „Main­stream“ wer­den, Vor­lie­ben des Publi­kums ver­hiel­ten sich als zykli­sche Wel­len­be­we­gung, wie der Renais­sance der lan­ge geschmäh­ten Male­rei in den 80er Jah­ren bele­ge. Ulri­ke Vog­ler, stell­ver­tre­ten­de Schul­lei­te­rin und Gün­ter Stre­litz, Abtei­lungs­lei­ter des beruf­li­chen Gym­na­si­ums, dank­ten dem pro­mi­nen­ten Gast für die über­aus lehr­rei­che Schul­stun­de pünkt­lich zum Gong­schlag. Ach ja, und die Rei­se geht wei­ter: Dem­nächst wird Pro­fes­sor Walt­her in Mexi­co City eine Aus­stel­lung eröff­nen. [/read]